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Strecken in Süddeutschland, gestern- heute- morgen:

 

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S21, Rund um den Stresstest ab Juli 2011

Einleitung, Quellen und Problematik
Kapitel 1, Fahrplan, Zu- und Abfahrten in der Spitzenstunde
Kapitel 2, Bemerkungen zu den Zusatzzügen
Kapitel 3, Fahrstraßenausschlüsse und ihre Auswirkungen
Kapitel 4, Auswirkungen einer Tunnelsperrung
Kapitel 5, Umsteigebeziehungen und Durchverbindungen außerhalb der Spitzenstunde
Kapitel 6, Stress auf den Bahnsteigen
Kapitel 7, Zusammenfassung, Ergänzungen und Konsequenzen (hier)
 
Anhang 1: Sammlung von leistungsfähigeren Kompromissvorschlägen
Anhang 2: Aufwertende Behelfe zum minimalen S21, Beispiel Voralb- S-Bahn
Anhang 3: Diskussionen Mitte 2016; Wie S21 zukunftsfähig gestalten?
 
 

Kapitel 7, Zusammenfassung, Ergänzungen und Konsequenzen

Zunächst soll hier das Wichtigste der vorigen Kapitel zusammengefasst werden, und grob angedeutet werden, welche Auswirkungen die jeweiligen, durch den Stresstest gelieferten Erkenntnisse erwarten lassen. Wenn wir mit dem Fahrplan beginnen, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass er als realistisches Beispiel angesehen wird, aber auch nicht als mehr. Deshalb habe ich mich zurückgehalten, Details zu kritisieren, bei denen ich die Hoffnung habe, dass sie sich in einem ersten echten Fahrplan noch verbessern lassen. Liniennetz, Grundtaktfahrplan und altbewährte Zusatzzüge für die Spitzenstunde waren also kein Thema.

Im linken Kasten habe ich aus der Raumordnerischen Beurteilung von 1997 und dem Planfeststellungsbeschluss von 2005 die Stellen zusammengesucht, die dazu geeignet sind, das Stresstest- Ergebnis einzustufen. Denn am Ende muss die Frage gestellt werden: Darf Stuttgart21 nach diesem Ergebnis überhaupt gebaut werden, oder reicht der nachgewiesene Verkehrszuwachs nicht als Rechtfertigung für die unvermeidbaren Schäden, Risiken und Kosten.

 

Raumordnerische Beurteilung

Die folgenden Zitate finden Sie in www.bahnprojekt- stuttgart-ulm.de/Stuttgart21-Diskurs-Textsammlung (2007). Die Seitenzahlen sind nicht die der .PDF sondern die auf den Seiten lesbaren.

Vor dem Raumordnungsverfahren gab es im Bundesverkehrswegeplan verschiedene Stufen der Konkretisierung zu Stuttgart- München, im Jahr 1985 und dann zuletzt 1992, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Interessant ist vielmehr: Auf was bezieht man sich bei der Raumordnerischen Beurteilung? Das ist (auf Seite 24 und ab Seite 28) die Konzeption "Netz 21" der BB AG von 1995. Da ist neben kapazitiven Ausbaumaßnahmen durchaus auch die Einsparung von Infrastruktur im Bestandnetz zitiert.

Auf Seite 25 ist der "Europäische Infrastrukturleitplan" angeführt, mit Betonung der Magistralen. 1996 wurde das ergänzt durch das EG- Leitschema für den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes, wo auch Stuttgart- Ulm vorkommt. Nichts im Text dieser Seiten deutet darauf hin, dass in diesen Unterlagen irgendeine Vorgabe über den Trassenverlauf vordefiniert gewesen sein könnte. Vielmehr sind ausdrücklich die Vorschläge von Professor Heimerl genannt.

Kapitel C, Raumordnerische Beurteilung, 1.0 Vorhabensrechtfertigung (1997)
Zitat von Seite 53: "Das Verkehrsaufkommen ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. So hat sich in Baden-Württemberg seit 1960 die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdreifacht und im Güterfernverkehr mehr als verdoppelt. Eine Abflachung dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Die Verkehrsprognosen weisen unter den Wirkungen der deutschen Wiedervereinigung, des EG-Binnenmarktes und der Veränderung der politischen Situation in Osteuropa noch stärkere Zuwächse für den Personen- und Güterverkehr aus als die bisherigen Prognosen. Baden-Württemberg hat durch seine zentrale Lage in Europa nicht nur die Chance, davon wirtschaftlich zu profitieren, sondern muss auch mit einer überdurchschnittlichen Zunahme des Transitverkehrs rechnen. Zur Bewältigung des zu erwartenden Verkehrsaufkommens und zur Erhöhung des Anteils der Schiene am gesamten Verkehrsaufkommen ist das Projekt Stuttgart 21 vernünftigerweise geboten."

Verdreifachung im Personenverkehr zwischen 1960 (=100%) und 1997 (=300%), also in 37 Jahren eine Zunahme um 200%. Wenn man eine gleichmäße absolute Zunahme weiter vorausgesetzt, denn "Eine Abflachung dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.", dann kommt man bis zu einer Inbetriebnahme im Jahr 2027 auf 200% x67Jahre/47Jahre = 462%. Ich kenne nicht die Zugzahl von 1960, aber die von 1996/7 habe ich in einem alten Kursbuch. Dort zähle ich 30 ankommende Züge zwischen 0700 und 0800 Uhr. Bei linearem Anstieg käme man also auf 46 Züge 2027.

Auf Seite 54 steht die Voraussetzung für die Erhöhung der Streckenleistungsfähigkeit Stuttgart- Ulm bis zum Jahr 2010. "Nach der Prognose des Generalverkehrsplans Baden-Württemberg werden bis zum Jahr 2010 gegenüber 1990 der Nahverkehr um insgesamt 34 %, der Personenfernverkehr um 21 % und der Güterverkehr um 50% zunehmen." Wenn man das statt bis 2010 bis 2027 hochrechnet, kommt man auf 34% x37Jahre /20Jahre = 63% Nahverkehrszüge mehr als 1990. Weil hier die S− Bahnen mit dabei sind, ist es schwierig zu vergleichen. Gleichmäßiger Anstieg aller Nahverkehrsarten vorausgesetzt, würde man von 28 Zügen in 1990 auf 46 Züge in der Spitzenstunde kommen, also wie bei der zuvor genannten Prognose.

Diese beiden Prognosen berücksichtigen die normale Steigerung infolge Bevölkerungs- und Mobilitätswachstum usw.. Darüberhinaus ist aber noch die Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene gewünscht. Dazu heißt es zur Rechtfertigung in 1.2.2 (Seite 56): "Der Generalverkehrsplan sieht eine Erhöhung des Anteils des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen und eine Verlagerung des erwarteten Verkehrszuwachses auf den öffentlichen Verkehr vor. Dies setzt eine Ausweitung der Schienenverkehrsangebote voraus."

Was damit gemeint ist, steht konkreter im Kapitel Verkehrskonzeptionen, 2.2.3 Bedarf, auf Seite 65: "Im Schienenpersonennahverkehr wird die Verkehrsleistung bis zum Jahr 2010 um annähernd 60 % zunehmen, d.h. rund sechs mal so stark wie der Nahverkehr insgesamt." Dieser Abschnitt gehört allerdings nicht mehr zum Kapitel Rechtfertigung. Es hat sich ja inzwischen gezeigt, dass sowas im Autoland Baden- Württemberg nicht so schnell geht. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die neue Landesregierung sollte es mal wieder anpacken!

Das Kapitel 2.3.1.Zugzahlen, Zugarten, Betriebsprogramm Stuttgart21 nennt dann die Prognose der Bahn: "Im Prognosejahr 2010 werden nach Angaben des Vorhabensträgers etwa 50% mehr Züge im Fernverkehr und etwa 80% mehr Züge im Regional- und Nahverkehr gegenüber dem Fahrplan 1996/97 eingesetzt....Im Regional- und Nahverkehr beginnen bzw. enden nach dem Fahrplan 1996/97 302 Züge täglich im Stuttgarter Kopfbahnhof. Künftig werden täglich 265 Stadtexpress-Züge über den Hauptbahnhof fahren. Da es sich um durchgebundene Linien handelt, muss die Anzahl der Züge verdoppelt werden, ehe sie mit der Zahl der im Kopfbahnhof beginnenden bzw. endenden Züge verglichen werden kann." Also 75% mehr (530/302 = 1,75)!

Wenn das nicht nur in der Tagessumme, sondern auch in der Spitzenstunde gelten soll, hätte ein Stresstest für 2010 mit 51 Zügen (8 x1,5 + 22 x1,75 =12 +39 =51 Züge) gerechnet werden müssen. Wieder wie oben gleichmäßig bis 2027 extrapoliert (70% x30 Jahre /13 Jahre =169%) würde das 81 Züge in der Spitzenstunde bedeuten. Das nur am Rande zum Schmunzeln.

Dieses weit über die ursprünglichen Prognosen hinausgehende Betriebsprogramm 2010 kommt den Wünschen der Raumordnung sehr gelegen. Darüberhinaus wünscht man weitere Optionen. Im Kapitel Raumverträglichkeit, Innenstadtbereich (Seite 188) :"Dies bedeutet für den Aus- und Neubau von Infrastruktur konkret, dass bei der Verwirklichung des Projektes Optionen offen gehalten werden, womit die Leistungsfähigkeit auf die wachsenden Verkehrsbedürfnisse angepaßt werden kann.

In der Raumordnerischen Gesamtabwägung, 6.1.1.Verkehr (Seite 405): "...ist der neue Hauptbahnhof so zu dimensionieren, dass über das der Planung zugrunde gelegte Betriebsprogramm hinaus Verbesserungen der Verkehrsangebote möglich sind. Die verkehrlichen Untersuchungen haben ergeben, dass die Kapazität des neuen achtgleisigen Durchgangsbahnhofes eine Steigerung der Zugzahlen um etwa 30 % gegenüber dem für das Jahr 2010 angenommenen Betriebsprogramm erlaubt. Für das Planfeststellungsverfahren ist nachzuweisen, dass der neue Durchgangsbahnhof auch dann eine befriedigende Betriebsqualität gewährleistet, wenn durch Anbindung der vorhandenen, nach der Antragsplanung nicht mehr benötigten Zulaufgleise in und aus Richtung Feuerbach an die Cannstatter Zulaufgleise in und aus Richtung Hauptbahnhof weitere Züge aus Richtung Norden in den Hauptbahnhof eingeführt werden können...." (hier ist die P-Option und viergleisiger Ausbau bis zur SFS nach Mannheim gefordert) "Sofern der Vorhabensträger nicht den Nachweis erbringt, dass der achtgleisige Durchgangsbahnhof in seiner Kapazität der - um die zusätzliche Fahrmöglichkeit nach Feuerbach erweiterten - Kapazität der Zulaufgleise entspricht, ist die Option zur Erweiterung des Durchgangsbahnhofes auf 10 Bahnsteiggleise offenzuhalten"

Hier wird also das gefordert, was einem aktuellen Stresstest hätte zugrundegelegt werden müssen. Denn die Rechnungen für 2010 sind nicht mehr aktuell. Hier sind 30% mehr angegeben, allerdings etwas fragwürdig formuliert. Was war das für eine Kapazitätsuntersuchung, und wer hat sie gemacht? 51 x 1,3 =66 Züge in der Spitzenstunde, ja das wäre zukunftssicher. Aber das hat jetzt beim Stresstest wohlweißlich niemand aus den Tiefen des Raumordnungsverfahrens von 1997 hochgezerrt. Ich habe es auch mehr zur Erheiterung des Lesers hier zitiert.

Zusammenfassung
Ein Stresstest mit 49 Zügen berücksichtigt nur die normale Verkehrszunahme nach sehr alten Prognosen. Schon im Raumordnungsverfahren war jedoch eine darüberhinausgehende Zunahme infolge der Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene gefordert. Leider in der Rechtfertigung nicht zahlenmäßig definiert. Wenn der Stresstest ein weniger knappes Ergebnis gebracht hätte, und deutliche Reserven erkennen lassen würde, könnte man ihn akzeptieren. Weil er aber in dem wesentlichen Punkt der Zunahme des Nahverkehrs nicht die Vorgaben erfüllt, fehlt der Rechtfertigung die Basis. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Vorschriften und Regeln, der Minimierung der Risiken und Kosten wiegt dann wieder schwerer als das nicht erfüllte Argument, mit dem alles gerechtfertigt werden sollte, nämlich mit der Erhöhung der Leistungsfähigkeit.

Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2005

Auch hier gibt es (ab Seite 139) ein Kapitel Planrechtfertigung: "Im Ergebnis ist festzustellen, dass das beantragte Bahnprojekt Stuttgart 21 zur Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart insgesamt planerisch ausreichend gerechtfertigt ist. Davon unabhängig ist die Neubaustrecke sowie die Umgestaltung des gesamten Bahnknotens Stuttgart aber auch aus den mit der Planung verfolgten inhaltlichen Zielsetzungen gerechtfertigt."
Hier kann man sich auf den neueren Bundesverkehrswegeplan von 2003 und ein Gesetz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbausgesetzes (BSchWAG) berufen. Dort gibt es unter Anderen auch den Punkt:
"Verbesserung der Verkehrssicherheit für Verkehrsteilnehmer und Allgemeinheit,". Darauf soll am Rande einmal wieder verwiesen werden, weil in letzter Zeit die Eigenschaft "wirtschaftlich optimiert" immer mehr in den Vordergrund getreten ist, die im Forderungskatalog dieses Gesetzes garnicht auftaucht.

Bei der zugrundegelegten Verkehrsprognose hat sich gegenüber dem Raumordnungsverfahren geändert, dass nach Paragraph 14 AEG nicht mehr allein die Angebotsplanung der DB AG zugrundegelegt werden kann, sondern ein komplizierteres Verfahren angewendet werden muss (ab Seite 147 beschrieben). Im Planfeststellungsbeschluss findet man dazu keine Zugzahlen, sondern nur:
"Dieses Betriebsszenario 2015 entspricht ... nach Art und Menge des vorgesehenen Schienenverkehrsangebotes weitgehend dem Betriebsprogramm 2010." (Dazu siehe oben unter Raumordnung, Kapitel 2.3.1)

Das Zenario 2015 musste dann nochmal angepasst werden: "Im aktuellen Betriebsszenario BVWP 2003 werden für die einzelnen Strecken in der Regel weniger Züge angenommen als im bisherigen Betriebsszenario 2015. So werden z.B. im Korridor Stuttgart- Ulm anstelle der früher angenommenen 168 Fernverkehrszüge künftig 154 solcher Züge verkehren. Gegenüber früher mit 124 Nahverkehrszügen und 212 Güterzügen in diesem Korridor werden jetzt 86 bzw. 170 Züge dieser Art prognostiziert. Während der Stuttgarter Hauptbahnhof im Betriebsszenario 2015 täglich insgesamt (ohne Abstellfahrten) 984 An- und Abfahrten bewältigen müsste, so sind es im Betriebsszenario BVWP 2003 noch 856 An- und Abfahrten."
Das sind auf Filstalstrecke plus SFS 92% der im Szenario 2015 prognostizierten Fernzugfahrten, aber nur 69% der Nahverkehrszüge. Leider ist nicht angegeben, um wieviel die anderen Strecken reduziert werden. Die An- und Abfahrten im Stuttgarter Hauptbahnhof sinken auf 87% des Zenarios 2015, das ja etwa dem für die Raumordnung abgegebenen Betriebsprogramm entsprechen soll.

Auf Seite 154 dazu weitere Zahlen: "Nach dem der Planung nunmehr zugrundeliegendem Betriebsszenario BVWP 2003 sollen künftig im Bahnknoten Stuttgart 1060 Züge (204 Fahrten davon gehen zum bzw. kommen vom Abstellbahnhof) abgefertigt werden, derzeit (im Jahr 2005 ?) sind es 598 ohne die Fahrten vom/zum Abstellbahnhof... Auf dem Streckenkorridor zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Plochingen bzw. Wendlingen werden nach dem Betriebsszenario BVWP 2003 636 Züge (einschl. S-Bahn) verkehren; derzeit sind es 457 Züge. Der Leistungskennwert dieser bestehenden Strecke (einschließlich S-Bahngleise) betrügt 565 Züge."

Im Rahmen der Rechtlichen Würdigung, 1.4.1.2 Aktualität der Verkehrsprognose, ist man dann aber beim Szenario 2015 geblieben (Seite 150): "Nach Auffassung der Planfeststellungsbehörde konnte bereits das ursprünglich den Planungen der Vorhabenträgerin zugrundegelegte Betriebsszenario 2015 als Einschätzung für den zukünftig erwarteten Bedarf akzeptiert werden."
Und weiter unten auf Seite 150: "Sowohl die Linienkonzepte als auch die Belastung in den für die Bemessung der Infrastruktur maßgeblichen Spitzenstunden sind in beiden Szenarien gleich, nur die Taktfolgen auf den einzelnen Linien werden in den Tagesrandzeiten im Szenario BVWP 2003 ausgedünnt."

Somit steht im Planfeststellungsbeschluss, durch welche Zugzahl in der Spitzenstunde der Bau von S21 gerechtfertigt wird: Nämlich die Zugzahl des Szenarios 2015, für das ich noch keine Quelle im Internet kenne. Deshalb kann ich nur vom angeblich weitgehend gleichen Betriebsprogramm 2010 ausgehen. Das wären, wie oben im Absatz Raumordnung vorgerechnet, 51 Z¨ge in der Spitzenstunde. Es wäre jetzt nur noch zu diskutieren, wieviele Züge man daraus für einen Stresstest 2027 ableiten müsste, ausgehend von dem Wissen, dass im Jahr 2010 eben doch weit weniger Züge gefahren sind, als prognostiziert. Die einen Befürworter von Stuttgart21 behaupten: "Hätten wir S21 zügig gebaut und heute in Betrieb, hätte sich auch der Verkehr kräftig entwickelt." Andere Befürworter sagen: "Wir brauchen keinen strengen Stresstest, denn man sieht ja, dass der Verkehr nicht so stark zunimmt. Acht Gleise werden ewig ausreichen."

Zum Glück brauchen wir darüber nicht zu streiten, denn der Stresstest wurde ja nicht einmal mit 51 Zügen, sondern mit Hängen und Würgen nur mit 49 Zügen durchgeführt. Also muss ich bei meiner Ansicht bleiben: Die Nachteile, Risiken und Kosten sind nicht gerechtfertigt, weil das für einen Bahnhof ausschlaggebende Rechtfertigungsargument, die Zunahme der verkehrlichen Leistungsfähigkeit, nicht nachgewiesen werden konnte.

 
 
Sonstige juristische und politische Problemfragen

Das Thema der Verträge zwischen denen, die sich an den Baukosten von S21 beteiligen wollen, habe ich hier absichtlich nicht aufgegriffen. Wo sich selbst die Juristen so uneinig sind, hat der Laie keine Chance, etwas zu verstehen. Das kann ich nur auf einen Nenner bringen: Die Politik muss über privaten Interessen stehen, wobei die DB-AG ja auch immer betont, privatwirtschaftlich operieren zu müssen. Und in einer Demokratie muss der Wille der Mehrheit des Volkes über dem der Politiker stehen.

Wenn ich aber davon ausgehe, dass hier eine Demokratie aktiv ist, bedeutet das Folgendes: Die Mehrheit der Baden- Württemberger (auch die Mehrheit der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl) hat Pateien gewählt, die dafür bekannt sind, dass sie Autoverkehr und Autoindustrie mehr unterstützten als den Bahnverkehr. So gesehen bekommt die Mehrheit nun genau das, was sie gewählt hat: Einen stressigen Bahnhof, der indirekt am meisten der Automobilindustrie nützt. Ist das wirklich gewünscht oder nur ein zu ertragender Nebeneffekt? Das erinnert an die Überraschung, die viele Wähler zeigten, als sie Steuerreduktion gewählt hatten und stattdessen eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke geliefert bekamen. Dabei war dieses unmissverständlich Teil der Parteiprogramme gewesen. Nur der GAU in Japan hat den Fehlgriff dieser Wähler unwirksam gemacht.

Man hat eben nur die Wahl zwischen den Parteiprogrammen, wo jeweils fast die Hälfte der Programmpunkte zähneknirschend ertragen werden muss, wenn ein Punkt der anderen Hälfte den aktuellen Anstoß zur Wahlentscheidung gibt. Um bezüglich Stuttgart21 nicht auf einen GAU, z.B. Ruinierung des Mineralwassers, warten zu müssen, setzen manche nun auf eine Volksabstimmung. Das ist aber genauso unbefriedigend, weil man mit der Frage die Antwort vorbestimmen kann, oder ein Schuss auch nach hinten losgehen kann. Auf dem Niveau der primitiven Instinkte, analog zum Versprechen Steuersenkung, wäre z.B. die Frage : "Wenn Sie die Milliarden verplanen dürften, würden sie dann Stuttgart21 oder eine neue Autobahn bauen?"

Nun, solche "passenden Fragen" machen bei unserer Demokratieform (zum Glück) nicht die Politik. Das sollte nur zeigen, wie wichtig es ist, dass Entscheidungen sachbezogen bleiben. Und bei einem Bahnhof muss der Bahnverkehr die oberste Entscheidungsgrundlage bleiben.

Zusammenfassungen

In Kapitel 1 wurde die Belastung der Zufahrts- und Abfahrtstunnel ermittelt, wobei erwartungsgemäß der Feuerbacher Tunnel mit 17 Zügen am stärksten belastet war. Dass aber in der Spitzenstunde durch die Ausfahrt nach Untertürkheim elf Züge zum Abstellbahnhof und nach Obertürkheim sechs Züge fahren müssen, zusammen also auch 17 Züge, hat doch überrascht. So gibt es einige Zugfolgen mit zwei Minuten Abstand oder weniger, die sich schon bei kleinen Verspätungen negativ bemerkbar machen können.

Zur Entlastung des Feuerbacher Tunnels war schon in der Raumordnung eine zusätzliche Verbindung vom Tunnel nach Bad Cannstatt zur Bestandsstrecke beim Pragtunnel gefordert worden, die sogenannte P- Option. Dazu ein viergleisiger Ausbau zwischen Feuerbach und dem Anfang der Schnellfahrstrecke nach Mannheim. Eine ähnlich wirksame Entlastung für den Tunnel nach Unter- und Obertürkheim, der sich erst unter dem Neckar verzweigt, wurde nie für erforderlich gehalten.

Nun zeigt sich, dass die alleinige Ertüchtigung durch die P-Option nicht viel bringt, solange nicht auch die Zufahrten zum Abstellbahnhof in Untertürkheim verbessert werden. Dabei ist auch bei dessen westlicher Zufahrt keine Reserve, weil der Cannstatter Tunnel durch die über die P- Option fahrenden Züge an seine Grenzen kommen wird. In der Spitzenstunde wird dann die Kapazität des Tunnels nach Unter- und Obertürkheim die ausschlaggebende Leistungsgrenze darstellen. Weil ich da keine zu vertretbaren Baukosten realisierbare Option sehe, dürfte der 49- Züge- Stresstest also auch mit P− Option nicht wesentlich überboten werden können.

In Kapitel 2 ging es um die Zusatzzüge, von denen vier dadurch negativ auffallen, dass sie in geringem Abstand vor oder nach einem auf gleicher Strecke fahrenden Linienzug fahren. Es war aber verlangt worden, dass der Stundentakt möglichst gleichmäßig halbiert wird. Ich kann nicht beurteilen, ob sich das erreichen lässt, indem man z.B. auf den Strecken oder in Nachbarknoten investiert. Deshalb zögere ich noch, deswegen den Stresstest generell abzuwerten. Streng genommen dürfte man sie nicht zählen, denn man könnte jedes hintereinander herfahrende Paar kurzer Züge durch einen langen Zug ersetzen. Statt 49 also nur 45 Züge.

Das zweite Problem halte ich für ernster, nämlich dass einige Zusatzzüge in ihrer Wagenzahl beschränkt sind, weil sie sich in Doppelbelegung mit einem anderen Zug das Bahnsteiggleis teilen müssen. Bei Linienzügen können kurze Züge sinnvoll sein, um sie tagsüber bei wenig Nachfrage nicht leer oder zu selten fahren zu lassen. Das ist ja mit dafür verantwortlich, dass so viele Zusatzzüge fahren müssen. Umso wichtiger ist es aber, bei den Zusatzzügen eine Beschränkung von künftigen Leistungssteigerungen zu vermeiden. Ich habe sechs Zusatzzüge gefunden, die ich aus diesem Grund nur halb zählen möchte. Der Stresstest wäre nach dieser Einschätzung leistungsmäßig also nur einer für 46 Züge.

Weil diese beiden Betrachtungsweisen nicht völlig unabhängig voneinander sind, darf man nicht einfach von sieben fehlenden Zügen sprechen. Aber es ist wohl klar geworden, dass von 49 Zügen nur geredet werden kann, wenn man von einem beschränkten Fahrgastzahlen- Zuwachs ausgeht. Das liest sich in der Raumordnung anders, jedoch leider ohne Zahlen, weil damals Kurzzüge unüblich waren, oder weil schlicht vergessen wurde, die Zuglängen zu definieren.

In Kapitel 3 habe ich die Fahrstraßenausschlüsse im Tiefbahnhof und ihre Auswirkungen untersucht. Das wäre im Rahmen des Gesamtthemas nicht unbedingt erforderlich gewesen, weil ein wesentlicher Teil des Stresstestes die vorgelegte Simulation von Verspätungs- Auf- und Abbau enthielt. Diese Computerprogramme und modernen, wissenschaftlichen Methoden sind vielen Eisenbahnfreunden fremd und erzeugen bei manchem vielleicht auch Unbehagen, weil das alles nicht anschaulich nachvollziehbar ist. Deshalb bin ich nach alter Methode vorgegangen und komme auch so zu dem Schluss, dass der Tiefbahnhof besser funktioniert als befürchtet. Das liegt aber an der passenden Durchbindung der Linien, woraus wieder der Nachteil fehlender Flexibilität abzuleiten ist. Eine Anpassung an veränderte Verkehrsströme wird behindert. Die Durchbindungen werden so bleiben müssen, wie es die Fahrstraßen vorgeben, außer der Verkehr bleibt weit unter der prognostizierten Zugzahl zurück.

In Kapitel 4 ging es um Notbetrieb, der im Stresstest zu meiner Überraschung ausgeklammert wurde. Dafür wurden inzwischen einige Notprogramme mit Umleitungen über Bestandsstrecken veröffentlicht, die von Totalsperrungen der jeweils untersuchten Tunnelstrecke ausgehen. Weil ich das Thema aus völlig anderem Blickwinkel angegangen bin und die Auswirkungen von Störungen oder Bauarbeiten in jeweils nur einem der beiden eingleisigen Tunnel untersucht habe, soll es hier nicht weiter in meine Abschlussbewertung einfließen.

In Kapitel 5 ging es ebenfalls nur indirekt um den Stresstest. Ich habe die Umsteigebeziehungen tagsüber untersucht, und zwar speziell zwischen den Linienzügen untereinander. Deren Zeiten hat man so gewählt, dass sie in der Spitzenstunde das Dazwischenschieben der Zusatzzüge erlauben. In der Spitzenstunde sind die Umsteigezeiten wegen der Zusatzzüge für die meisten Reisenden kürzer als beim Grundangebot tagsüber. Ein für den Stresstest optimierter Fahrplan kann nicht gleichzeitig auf kürzeste durchschnittliche Umsteigezeit optimiert sein. Man findet in der Tat relativ viele Umsteige- Wartezeiten zwischen 50 und 62 Minuten. Letztere Zeit ist besonders ärgerlich, wenn man den Zug am Nachbarbahnsteig stehen sieht, den Weg in zwei Minuten aber nicht schafft. Selbst bei Berücksichtigung vorteilhafterer Alternativzüge kam ich auf eine durchschnittliche Umstiegszeit von 28,2 Minuten, jeweils Abfahrtszeit minus Ankunftzeit gerechnet. Für durchgebundene Züge könnte man ebenso eine durchschnittliche Haltezeit ermitteln. Dieser Wert ist allerdings weniger interessant und wurde daher nicht berechnet, weil nur ein kleiner Teil der Fahrgäste in die Richtung der Durchbindung fahren will. Das liegt einfach an der großen Zahl der Strecken und an der zeitlichen Unflexibilität der Reisenden.

In Kapitel 6 habe ich weitere Aspekte untersucht, die meiner Ansicht nach in einem Stresstest hätten simuliert werden müssen, nämlich die Verhältnisse auf den Bahnsteigen. Sie weisen ausgerechnet im mittleren Bereich die geringste nutzbare Breite auf, weil man möglichst viele Treppen und Fahrtreppen unterbringen wollte. Das macht auch Sinn, weil die Bahnsteige für einen modernen Fernverkehrsknoten sehr schmal sind, andererseits auf den Stegen relativ viel Platz ist. Durch die ursprünglich nicht vorgesehene Doppelbelegung gibt es aber zusätzliche Ströme von Reisenden zwischen den Bahnsteighälften. Auch viele Umsteiger von/ zur S− Bahn benutzen den Weg über den Bahnsteig und durch die Unterführung.

Den Fahrplan- Machern ist das Problem wohl nicht verborgen geblieben, denn man hat einige Züge auf bestimmte Bahnsteighälften geschickt, auch ohne Doppelbelegung. Anhand von Beispielen habe ich in Kapitel 6 bewiesen, dass es Komplikationen gibt, weil durch das Gedränge neben den mittleren Treppen das Aus- und Einsteigen behindert wird, und die vorgesehene Haltezeit nicht realistisch ist. Weil das bei den Verspätungsrechnungen des Stresstests nicht zusätzlich berücksichtigt ist, wird der Tiefbahnhof nicht, wie behauptet, verspätungsabbauend wirken, sondern bei einigen Zügen auch Ursache für tägliche Verspätungen sein. Der Stresstest zeigt: 49 Züge funktionieren nicht. Ob es mit den im Schlichtungsergebnis geforderten Gleisen 9 und 10 funktionieren könnte, wurde nicht geprüft.

Ergänzungen

Weshalb ist das Ergebnis des Stresstestes so wichtig? Sich jetzt schon um einen Fahrplan zu streiten, macht eigentlich wenig Sinn, so viele Jahre vor der Eröffnung, von der man nicht wissen kann, in welches Umfeld von Rahmenbedingungen konjunktureller bis kultureller Art sie fallen wird. Klarheit über den verkehrstechnischen Wert des Projektes braucht man aus anderem Grund: Im Verlaufe des Planungs- und Zulassungsverfahrens gab es viele Hindernisse, es mussten sogar Vorschriften und Regeln außer Kraft gesetzt werden, und viele Interessen Einzelner und verschieden einflussreicher Gruppierungen mussten zurückgebunden werden. Und zwar unter der allmächtigen, übergeordneten Direktive, all das müsse im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden, um die angestrebte Verkehrsverbesserung zu ermöglichen.

Obwohl es mir wenig Spaß macht, musste ich mich ein wenig mit dem juristischen Aspekt der Problematik auseinandersetzen. Da ich in diesem Bereich totaler Laie bin, informierte ich mich für den Anfang bei Wikipedia. Wie im linken Kasten gezeigt, geht es bei der Raumordnerischen Beurteilung und im Planfeststellungsbeschluss nicht nur um die Details der Planung, sondern im Wesentlichen um deren Rechtfertigung. Auf der Wikipedia- Seite Rechtfertigungsgrund steht in der Einleitung die Definition:
"Erlaubnistatbestände, die ein an sich verbotenes Handeln ausnahmsweise gestatten."
Ein denkmalgeschütztes Gebäude abzureißen, ist verboten und bedarf einer doch recht mächtigen Rechtfertigung, weil ja ein nicht wieder gutzumachender Schaden angerichtet wird.

Welche Folgen hat es, wenn sich herausstellt, dass ein Rechtfertigungsgrund nicht die versprochene Wirkung hat? Von den Befürwortern des Projektes hört man in letzter Zeit fast nur noch das Argument: Wir haben Baurecht, wir fangen nicht neu an mit Rechtfertigungen, basta! Dazu findet man auf der Wikipedia- Seite Unanfechtbarkeit :
":...formelle Bestandskraft, die nicht mehr mit Rechtsbehelfen anfechtbar ist."
"...Auch ein widerrechtlicher Verwaltungsakt kann Bestandskraft erlangen, sofern er nicht ausnahmsweise nichtig ist,"

Das ist nun schon so ein Satz, der einem ein juristisches Studium angeraten sein lässt. Obwohl ich für ein mehrjähriges Studium zu alt bin, habe ich doch wenigstens noch ein wenig im Raumordnungsgesetz (Wortlaut auf der Wikipedia- Seite verlinkt) und im Verwaltungsverfahrensgesetz (auf dieser Seite Paragraphen einzeln verlinkt) quergelesen, um herauszufinden, ob es wirklich kein Zurück gibt.

Raumordnungsgesetz
Das Bundesgesetz steckt nur den Rahmen ab, in dem sich die Ländergesetze bewegen. Man müsste also noch prüfen, ob im Raumordnungsgesetz Baden- Württembergs ein zusätzlicher Fallstrick lauert. Im Bundesgesetz ist im Zusammenhang mit der diskutierten Problematik in Paragraph 12, Punkt 3 zu finden:
"Beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs werden unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung... geltend gemacht werden."
Und in Punkt 6: "Der Raumordnungsplan kann durch ein ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern auch rückwirkend außer Kraft gesetzt werden."
Da gibt es also ein Zurück, allerdings nur mit einem neuen Verfahren.

Verwaltungsverfahrensgesetz
Hier nur einige Paragraphen herausgepickt, die im Zusammenhang mit einer unzureichenden Rechtfertigung interessant sein könnten:
Paragraph 43, Wirksamkeit: Ein Verwaltungsakt ist ab Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam. Er kann zurückgenommen, widerrufen oder aufgehoben werden (was aber sehr selten geschieht, weil die Verfahren kompliziert sind).
Paragraph 74, Planfeststellungsbeschluss
Paragraph 75, Rechtswirkung des Planfeststellungsbeschlusses.
Es werden alle öffentlich rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den Betroffenen geregelt.... Erhebliche Mängel bei der Abwägung führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie nicht durch Planergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden können.
Paragraph 69, Entscheidung; Paragraph 70, Anfechtung;
Paragraph 76, Planänderung nur durch ein neues Verfahren
Paragraph 77, Aufhebung: Erforderlich nach Aufgabe eines begonnenen Vorhabens. (Rahmen für Rückabwicklung, Rekultivierung, Entschädigungen)

Generell gilt zusätzlich das Zivilrecht. Entschädigungen können unabhängig von den Fristen auch nach Beginn der Unanfechtbarkeit geltend gemacht werden. Klagen sind aber wohl nur dann erfolgversprechend, wenn eine nicht voraussehbare Wirkung des Vorhabens auf das Recht eines Anderen vorliegt. Denn die voraussehbaren waren gerechtfertigt worden, und man hätte innerhalb der Frist dagegen klagen müssen.

Konsequenzen

Erst in den letzten Jahren kam ein gewisser Gegenpol zum Tragen. Ich meine das öffentliche Interesse an den ausufernden Baukosten, verbunden mit der sinkenden Bereitschaft, sich für solche Projekte immer noch mehr zu verschulden. Auch stellte sich heraus, dass positive Nebeneffekte des Projekts, wie Stadterweiterung und Schaffung von Arbeitsplätzen immer mehr in den Mittelpunkt rückten. Ja sogar private Interessen wurden für sensitive Beobachter erkennbar. Die proklamierte Verdopplung der Leistungsfähigkeit des Bahnhofs wurde dagegen immer mehr angezweifelt.

Die Grundlage des ganzen Zulassungsverfahrens, die Verkehrsverbesserung, ist nun durch das Stresstest- Ergebnis in Frage gestellt. Die Rechtfertigung hat damit einen wesentlichen Teil ihrer Kraft eingebüßt. Es bleiben nur die Vorteile der neuen Schnellfahrstrecke über den Flughafen. Diese könnten auch durch andere Lösungen erreicht werden, zumal ja die Fernzüge garnicht dort halten sollen. Bleibt schließlich nur die Stadtentwicklung. In einem Raumordnungsverfahren, bei dem es nicht um einen Bahnhof, sondern nur um die Entwicklung eines Stadtteils gehen würde, müsste aber ganz anders abgewogen werden. Angenommen, der Stadtentwicklung stünde ein ausgedehntes Denkmal im Wege. Die Entscheidung wäre klar zugunsten des Denkmalschutzes ausgegangen. Denn Denkmalschutz ist Landessache, während der neue Stadtteil nur der Gemeinde nützt.

Im linken Kasten habe ich die wichtigsten Passagen zitiert, wo in der Raumordnung und im Planfeststellungsbeschluss zur Rechtfertigung der Denkmalzerstörung, anderer Schäden und Risiken der Verkehrszuwachs definiert wird. Darunter habe ich noch einen, zugegeben recht ratlosen, Abschnitt über sonstige juristische und politische Problemfragen angehängt. Politiker und Juristen werden darüber vielleicht mitleidig lächeln, aber meine Leser sind wohl eher, wie ich, technisch und praktisch orientiert. Und wir kommen auch nach längeren Ausflügen in die beklemmenden juristischen Denkweisen immer wieder zu dem zurück, was wir für einen gesunden Menschenverstand halten. Und der meint: Bei einem Bahnhof muss der Bahnverkehr die oberste Entscheidungsgrundlage bleiben. Viele glauben fest an eine, die Zukunft gestaltende, wesentliche Funktion der Bahnpolitik.

Man kann natürlich auch die andere Seite verstehen: Dass es mit dem Wachstum nicht mehr so weitergehen wird, dafür gibt es immer mehr Indizien. Wenn dazu noch die Bevölkerung abnimmt, und infolge weiterer Verbreitung der Armut weniger gereist wird, wenn durch steigende Energiekosten bei sinkendem Gehalt längere Fahrten zur Arbeit immer unattraktiver werden, wenn dann noch der Rückkopplungseffekt durch verschlechtertes Zugangebot dazukommt, dann wäre es ein Wunder, wenn jemals solche Zugzahlen wie im Stresstest gefahren würden.

Befürworter von S21, die das so negativ sehen, brauchten die positiven Prognosen also einzig zur Rechtfertigung der Kollateralschäden. Wer es so negativ sieht, hat natürlich auch das Bestreben, das Beste daraus zu machen, solange es noch geht. Aus diesem Blickwinkel sind auch die horrenden Kosten nicht abschreckend. So kommt Geld ins Land, und nach uns die Sintflut! So denkt nicht nur der Manager, sondern auch der Bauarbeiter. Aber darf die Politik das hinnehmen?

Es ist sicher nicht einfach, da herauszukommen. Positiv denkende Politiker müssen mit zukunftweisenden Fachleuten zeigen, dass gerade ein optimiertes Nahverkehrsnetz die Chance bietet, die negativen Effekte auszugleichen, und die Region weiter voran zu bringen. Es müsste sofort ein neues Raumordnungsverfahren eingeleitet werden, das anders als das zu Stuttgart21 auch U− und S− Bahnlinien und insbesondere auch den Güterverkehr mit einbezieht. Bestehende Planfeststellungsbeschlüsse sind dabei wenige Argumente unter vielen anderen von gleichem Gewicht. Viele Teile der alten Raumordnung können bestehen bleiben, aber einige müssen ersetzt werden.

Man muss sich jetzt entscheiden: Wollen wir ein positives Szenario, wie es der Rechtfertigung zugrundegelegt wurde, dann darf nicht so gebaut werden, wie es dem Stresstest zugrunde gelegt wurde. Sagen wir andererseits, der Stresstest ist realistisch, weil der Verkehr sowieso nicht so stark zunehmen wird, dann fehlt die Rechtfertigung für die Kollateralschäden. Dann haben wir nicht nur das negative Entwicklungszenario, sondern auch ein abgerissenes Denkmal, einen Sack voll Risiken und eine ewige Baustelle. Denn im negativen Entwicklungszenario ist auch enthalten, dass für solche Projekte kein Geld mehr da sein wird.

Stand 12.09.11                                  Fortsetzung: Sammlung von leistungsfähigeren Kompromissvorschlägen
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